Direkt zum Inhalt

J. Edgar Hoover: Der Gigant und größte Schurke

Niemand prägte das FBI wie sein Langzeitdirektor J. Edgar Hoover. Vor 100 Jahren begann der Aufstieg des Mannes, der vielen als Amerikas mächtigster und ruchlosester Beamter gilt.
J. Edgar Hoover erhält eine Bronzebüste zum Geschenk
J. Edgar Hoover bespitzelte ohne Rücksicht auf Gesetze die Bürger der USA. An seinem guten Ruf änderte das jahrelang nichts: Hier erhält er 1964 zum 40-jährigen Jubiläum als FBI-Direktor eine Bronzebüste.

Jahrzehntelang war es so: Wenn in den USA die Rede aufs FBI kam, ließ sich immer gut festmachen, wo jemand politisch stand. Konservative schätzten die Schlagkraft der bundesweiten Ermittlungsbehörde gegen vermeintlich staatszersetzende Umtriebe, Liberale betrachteten die Arbeit des »Federal Bureau of Investigation« traditionell mit Argwohn. Seitdem der Polit-Quereinsteiger Donald Trump das Land entzweit, gilt diese einfache Rechnung nicht mehr. Schon im ersten Jahr seiner Präsidentschaft legten Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Gallup einen Trend zur Umkehr offen, der bis heute anhält. In Sachen FBI schrumpfen die Sympathiewerte unter Anhängern der Republikaner, während sie unter denen der Demokraten wachsen.

Es braucht nicht viel kriminalistischen Spürsinn, um die Motive dahinter zu erkennen. Trump-Anhänger folgen ihrem Idol, der das FBI als schlimmsten Auswuchs des »deep state« schmäht, jenes angeblich undemokratischen Komplexes staatlicher Einrichtungen, welche die Arbeit der gewählten Regierung hintertreiben, zum Beispiel durch Ermittlungen gegen einen unbequemen Expräsidenten. Für Liberale legen dieselben Ermittlungen paradoxerweise das genaue Gegenteil nahe: dass das FBI endlich mit seiner schmuddeligen Vergangenheit abgeschlossen hat. Mit den Jahrzehnten, in denen es tatsächlich als Staat-im-Staat operierte und gemeinsame Sache mit Rechten und Rassisten machte. Jahre, in denen die weißen Westen der Agenten hässliche Flecken bekamen, die unverkennbar von Langzeitdirektor J. Edgar Hoover stammten.

Heute vor genau 100 Jahren hatte Hoover den Vorsitz über eine Behörde übernommen, die anfangs noch »Bureau of Investigation« (BOI) hieß und in ihren ersten Jahrzehnten von Amerikanerinnen und Amerikanern fast durchweg als Garant für die innere Sicherheit betrachtet wurde. Hoovers Agenten waren der Inbegriff der integren Saubermänner, was rückblickend wohl nicht einmal damals der ganzen Wahrheit entsprach.

Spätestens als Hoover 48 Jahre später, noch immer im Amt, verstarb, stellte sich heraus, wie teuer das Sicherheitsgefühl erkauft war. Hoover hatte das »Bureau« zu einer modernen und effizienten Sicherheitsbehörde ausgebaut, gleichzeitig aber Teile der Bevölkerung ausspionieren lassen und Unmengen Informationen gesammelt. Hatte willkürlich bespitzelt, illegal abgehört, erpresst und widerrechtlich festnehmen lassen, wenn es seinen Zielen diente. Acht Präsidenten und 16 Justizminister begleiteten seinen scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg zum wahrscheinlich mächtigsten Beamten der USA.

Auf dem Weg nach oben

Geboren 1895 in Washington D.C., wuchs John Edgar auf dem Capitol Hill in einem weißen, christlichen Umfeld mit hoher Anzugträgerdichte auf. Sein Vater arbeitete, wie viele Männer in der Nachbarschaft, als Staatsbediensteter. Hoover verbrachte sein ganzes Leben in der Bundeshauptstadt, wohnte 43 Jahre lang in seinem Elternhaus, studierte an der ortsansässigen George Washington University, reiste nie ins Ausland. Selbst sein Grab ist nur fünf Autominuten vom Ort seiner Kindheit entfernt. So unbeweglich wie sein Leben, so starr war auch sein Weltbild. Er hatte bereits in jungen Jahren »klare konservative Überzeugungen – insbesondere in Bezug auf Kommunismus, Rasse, Religion und Kriminalität«, die sich über die Jahrzehnte kaum änderten, sagt Beverly Gage in einem Interview. Für ihre viel beachtete Biografie »G-Man. J. Edgar Hoover and the Making of the American Century « erhielt die Historikerin 2023 den Pulitzer-Preis. Während seines Jura-Studiums war Hoover Mitglied der Studentenverbindung Kappa Alpha, einer Organisation, die den amerikanischen Südstaaten und der Vorstellung weißer Vormachtstellung nachhing. Vieles von dem, was Hoover in seinem Leben wichtig war und werden sollte, fand er hier: Konservatismus, Hierarchien, Loyalität. Nicht wenigen seiner Verbindungsbrüdern verschaffte er später eine Anstellung beim FBI.

Junges Talent | Im Jahr 1924 hat Hoover den Skandal um die »Palmer Raids« nicht nur unbeschädigt überstanden, sondern augenscheinlich davon profitiert: Er wird Direktor des BOI, des Vorläufers des FBI.

Nach seinem Abschluss 1917 trat der junge Jurist eine Stelle im Justizministerium an. Er arbeitete in einer Abteilung, die ausländische Feinde Amerikas entdecken und unschädlich machen sollte – in Zeiten des Weltkriegs eine stark nachgefragte Einheit. Schnell stieg er zum Abteilungsleiter auf. Vor allem seine Zuverlässigkeit und die Bereitschaft, viele Überstunden zu machen, überzeugten die Vorgesetzten. Mit dem Ende des Kriegs und der Oktoberrevolution in Russland erwuchs ein neues Feindbild, das Hoover zeit seines Lebens nicht mehr losließ: die Kommunisten. Die Behörde und Hoover sahen nahezu überall rot. Alles, was als links eingestuft werden konnte, galt als kommunistisch und damit potenziell gefährlich. Mehrere Bombenattentate, verübt durch Anarchisten, im Jahr 1919 schienen die Befürchtungen zu bestätigen. Auch die Hauptstadt Washington blieb vom Terror nicht verschont: Am 2. Juni sprengte sich ein junger Mann vor dem Haus des Justizministers Alexander Mitchell Palmer in die Luft – Palmer und seine Frau kamen mit dem Schrecken davon.

Hoover aber katapultierte die Bombe die Karriereleiter hinauf. Justizminister Palmer witterte das Wirken einer kommunistischen Verschwörung hinter der Attacke. Das junge Talent Hoover war sein Mann, um sie auszuheben. Im August 1919 ernannte er ihn zum Chef der »Radical Division« des Justizministeriums – einer Abteilung des Bureau of Investigation, die für die Abwehr radikaler Kräfte zuständig war.

Der 24-Jährige verschwendete keine Zeit. »Kraft seiner Befugnisse zog er wie ein Magnet jedes Fitzelchen Geheiminformation an, das in den verschiedenen Regierungsbehörden verstreut war, und erhob geheime Anklagen gegen zehntausende politische Verdächtige«, schreibt der Journalist Tim Weiner in seinem Buch »Enemies: The History of the FBI«. »Er band Einwanderungs- und Passbehörden ein, Postbeamte, Polizeikommissare, Privatdetektive und politische Vigilanten. Teams von Schloss- und Safeknackern aus dem Bureau und dem Nachrichtendienst der Marine verschafften sich Zugang zu ausländischen Botschaften und Konsulaten und stahlen Codebücher und Verschlüsselungen.« Nach drei Monaten lagen Dossiers zu mehr als 60 000 Personen vor. Nicht weniger als den Grundstock für eine Art Inlandsgeheimdienst habe Hoover gelegt, befindet Weiner.

Nahezu jeder streikende Arbeiter – und davon gab es viele am Ende der Kriegswirtschaft – und jeder, der mit linken Organisationen in Kontakt stand, konnte ins Visier geraten. Bei Razzien ohne Durchsuchungsbefehl im ganzen Land verhaftete das Bureau mit Unterstützung der Polizei zwischen November 1919 und Januar 1920 tausende Personen unter fadenscheinigen Begründungen. Viele von ihnen wurden unrechtmäßig festgehalten, geschlagen und in zweifelhaften Prozessen abgeurteilt; Ausländer wurden deportiert.

Das Vorgehen während der so genannten »Palmer Raids« blieb nicht folgenlos. Die Presse wurde aufmerksam, Geschädigte wehrten sich gerichtlich und bekamen Recht. In einem Urteil heißt es: »Eine Verbrecherbande bleibt eine Verbrecherbande, ob sie aus Regierungsbeamten besteht und auf Anweisung des Justizministeriums handelt oder aus Kriminellen, Faulenzern und üblem Gesindel.« Merkwürdig, dass nicht der junge Beamte über die Klinge springen musste, um den Minister zu retten. Im Gegenteil. Der Skandal kostete Palmer die angestrebte Präsidentschaftskandidatur, Hoover hingegen stritt jegliche aktive Beteiligung ab und wurde befördert. Unter dem neuen Justizminister Harry Daugherty übernahm der 29-Jährige schließlich am 10. Mai 1924 das Amt des BOI-Direktors und damit jene Position, die er bis zu seinem Lebensende bekleiden sollte.

Der Mann im Hintergrund | Präsidenten kamen und gingen, Hoover blieb. Hier zu sehen zwischen John F. Kennedy und dessen Bruder Robert Kennedy im Rosengarten des Weißen Hauses.

Der Schreibtischtäter

Hoover war ein überzeugter Bürokrat. Er liebte Ordnung und Disziplin. Bereits während seines Studiums hatte er als Hilfskraft in der Library of Congress gejobbt und war umgeben von Katalogen und Karteien förmlich aufgeblüht. Kollegen hatten ihn bitten müssen, sein Tempo bei der Erarbeitung eines neuen Klassifizierungssystems zu drosseln. Später sagte Hoover, dass diese Zeit ihn perfekt auf das Sammeln und Verarbeiten von Informationen und Beweisen vorbereitet habe.

Und Informationen hatte er zuhauf. Seit dem Eintritt ins Justizministerium hatte er geheime Akten angelegt. Er registrierte während seiner Zeit an der Spitze alles, was ihm nützlich erschien, ließ Dossiers zu unzähligen Personen anlegen, mit teilweise kompromittierenden Details, etwa über John F. Kennedy, Frank Sinatra, Marylin Monroe oder auch deutsche Exilanten wie Thomas Mann. Informationen waren seine Währung, mit der er Menschen unter Druck setzte oder ihnen Gefälligkeiten erwies. Die Grenzen zwischen dienstlich und privat verschwammen häufig. Nach seinem Tod fand man in seiner Dienstwohnung rund 17 000 Seiten Papier, verteilt auf 165 Akten – wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs, denn seine Sekretärin Helen Gandy gestand, dass sie weitere Papiere vernichtet hatte. Darüber hinaus führte Hoover Listen potenzieller Staatsfeinde, die es notfalls zu internieren galt – neben den Kommunisten betraf das während des Zweiten Weltkriegs etwa Japaner und Deutsche. Viele der Unterlagen pflegte und verwendete Hoover persönlich.

Hoover nutzte zudem den Gestaltungsspielraum als neuer Direktor, um das Bureau zu einer schlagkräftigen Ermittlungsbehörde umzubauen. Zunächst reduzierte er das Personal auf rund 300 vertrauenswürdige Männer und steigerte die Effizienz der Verwaltung. Vor allem aber setzte er auf moderne kriminalistische und forensische Methoden. Dazu gehörten Verbrechensstatistiken ebenso wie eine umfangreiche Fingerabdruckkartei, Labore für die Analyse von Blutspuren, Haarproben, Patronen oder Schreibmaschinen. Zudem professionalisierte er die Ausbildung seiner Agenten und gründete 1935 die FBI National Academy.

Dank der Neujustierungen konnte sich das FBI während des Zweiten Weltkriegs auch als Nachrichtendienst positionieren. Spektakulär und von Erfolg gekrönt waren einige seiner Geheimoperationen: So ließ das Bureau etwa mit Hilfe eines Doppelagenten einen ganzen deutschen Spionagering auffliegen. Im Rahmen dieser Mission betrieb das FBI enormen technischen Aufwand. Es setzte versteckte Kameras ein, hörte Telefone ab und unterhielt für mehrere Monate eine Scheinfirma im Zentrum New Yorks.

Doch der Einsatz solcher technischen Hilfsmittel wurde schnell inflationär und war eigentlich illegal. Bereits Ende 1939 hatte der Oberste Gerichtshof das Abhören von Telefonaten durch die Regierung für rechtswidrig erklärt. Hoover allerdings ignorierte das Urteil und brachte Präsident Franklin D. Roosevelt dazu, ihm eine geheime Ermächtigung auszustellen, um das Abhören von Personen, »die subversiver Aktivitäten gegen die Regierung der Vereinigten Staaten verdächtig sind«, zu erlauben – auch ohne rechtliche Grundlage. Bis 1966 berief sich Hoover bei Lauschangriffen auf dieses Papier.

Der PR-Spezialist – die G-Men vs. Superschurken

So gern Hoover im Verborgenen wirkte, so klar war ihm, wie wichtig ein positives Image in der Öffentlichkeit war, sowohl für seinen persönlichen Machterhalt als auch für die finanzielle Ausstattung seines »Bureaus«. Um 1930 startete er sogar eine regelrechte PR-Offensive, für die er selbstverständlich seine geheimen Verbindungen und Seilschaften in die Medienwelt einspannte.

Die Helden vom FBI | Bereits ab den 1930er Jahren polieren Hollywoodfilme das Image des FBI auf. In »The FBI Story« (1959) erzählt James Stewart als Agent »Chip« Hardesty aus seinem Leben als G-Man.

Prohibition und Wirtschaftskrise hatten Gangster wie John Dillinger, Baby Face Nelson oder Machine Gun Kelly hervorgebracht, die das Land in Unruhe versetzten und sich gleichzeitig auf Grund des ihnen angedichteten Robin-Hood-Mythos’ einiger Beliebtheit erfreuten. Hoover und seine Leute nahmen den Kampf gegen das organisierte Verbrechen auf – ab 1934 auch mit der offiziellen Lizenz, Schusswaffen zu tragen. Im Gegensatz zu den populären Superschurken ließ Hoover seine Männer als Riege korrekter und unbestechlicher Helden inszenieren: die Government’s Men, kurz G-Men. Unter Hoovers Mitwirkung entstanden Bücher, Comics und Hollywood-Filme, die erstmals die Polizeiarbeit ins Zentrum der Handlung stellten. Sie verschafften den FBI-Agenten das Image unerbittlicher und gerechter Gangsterjäger und förderten landesweit das Ansehen der Bundesbehörde. Wie sich die Sympathie des Publikums von den Verbrechern zu den Polizisten verschob, versinnbildlicht der Schauspieler James Cagney: Im Film »Public Enemy« von 1931 folgten die Zuschauer dem Schauspieler durch ein kurzes Ganovenleben, vier Jahre später ging er in »G-Men« auf Verbrecherjagd – als Agent des inzwischen umbenannten FBI.

Auch um seinen persönlichen Ruf aufzumöbeln, nutzte Hoover – der schon als Junge im Debattierklub brilliert hatte und sich auf sein rhetorisches Talent verlassen konnte – die mediale Aufmerksamkeit: Nachdem ihn ein Senator während einer Anhörung in Budgetfragen vorgeworfen hatte, selbst noch nie einen Verbrecher verhaftet zu haben, orchestrierte Hoover öffentlichkeitswirksam seine erste Festnahme. Agenten stellten für ihn den flüchtigen Mörder, Kidnapper und Staatsfeind Nr. 1 Alvin Karpis, Hoover nahm ihn für die Fotos offiziell in Gewahrsam.

Muttersöhnchen und Crossdresser?

Privat zeigte sich Hoover hingegen äußerst zugeknöpft. Vieles von dem, was heute über ihn kursiert, stammt eher aus dem Reich der Spekulationen. Gern wird beispielsweise das Bild eines devoten Sohns mit einem fragwürdigen Verhältnis zu einer dominanten Mutter gezeichnet. In Clint Eastwoods Filmbiografie »J. Edgar« zieht sich Leonardo di Caprio als Hoover am Totenbett seiner Mutter aus Verzweiflung sogar ihr Kleid über. Klar ist: Hoovers Vater litt zeit seines Lebens unter schweren Depressionen und starb 1921 ermattet und zu schwach, um sich physisch und psychisch am Leben zu erhalten. »Am Ende schien Hoover seinen Vater als eine Peinlichkeit betrachtet zu haben, einen gescheiterten Mann, unfähig, den damals vorherrschenden Idealen von Tugend und Erfolg gerecht zu werden«, resümiert die Biografin Gage. Als jüngster Sohn fühlte er sich der weitaus präsenteren Mutter eher verbunden und lebte bis zu ihrem Tod mit ihr zusammen – für einen Junggesellen seiner Zeit ein nicht unübliches Lebensmodell.

Im Gegensatz zu seinen Geschwistern gründete J. Edgar keine Familie. Zum einen war er verheiratet mit dem Bureau, zum anderen spielten Frauen in seinem Leben generell keine große Rolle, sieht man einmal von seiner Mutter und seiner Sekretärin Helen Gandy ab, die ihm über 50 Jahre lang zur Seite stand. Hoover war homosexuell – vermutlich. Eindeutige Aussagen dazu gibt es nicht. Es lässt sich aber anhand von Indizien wie postalischen Korrespondenzen ableiten.

Auch seine enge Beziehung zu Clyde Tolson spricht dafür. »Hoover brauchte jemanden, der ihm Bestätigung gab, einen Mann, der ihm überall hin folgte«, berichtete eine seiner Mitarbeiterinnen, Doris Rogers. Die Rolle dieses Satelliten – im Dienstlichen wie im Privaten – füllte der fünf Jahre Jüngere Tolson aus. 1927 kam er zum FBI, drei Jahre später war er bereits zum stellvertretenden Direktor ernannt. Beide arbeiteten eng zusammen, zogen nachts um die Häuser, besuchten öffentliche Veranstaltungen und Pferderennbahnen, fuhren gemeinsam in den Urlaub. Tolson schickte Hoovers Mutter Blumen zum Valentinstag – Hoover posierte auf Fotos mit Tolsons Familie. Zerriss Hoover der Zwiespalt zwischen öffentlicher Meinung und geheimem Liebesleben? Darüber gibt es keine Aufzeichnungen. Vermutlich verlangte es ihm enorme Selbstdisziplin ab.

Hoover und Tolson (1938) | Der FBI-Direktor und sein Vize auf der Strandpromenade von Atlantic City in New Jersey. Auch privat sind die beiden wohl ein Paar.

»Herz der Finsternis für Amerikas Demokratie«

Hoovers sexuelle Orientierung wäre wenig von Interesse, wenn er nicht selbst jederzeit darüber informiert sein wollte, was hinter den zugezogenen Vorhängen anderer passierte. So registrierte er durchaus Informationen über Politiker, die im Verborgenen ihre Homosexualität auslebten, und gab das kompromittierende Material auch weiter. Bereits in den 1940er Jahren wurden auf Grund scheinbar überbordender Überwachung Fragen laut, ob das »G« in G-Men nicht eher für GESTAPO stehe. »Für seine Kritiker war Hoover das Herz der Finsternis für Amerikas Demokratie«, schreibt der Historiker Rhodri Jeffreys-Jones in seinem Buch »FBI. A History«.

Doch die Kommunistenverfolgung in der Ära des Kalten Kriegs stellte alles bisher Dagewesene in den Schatten. Das 1956 gestartete so genannte Counterintelligence Program des FBI – kurz: COINTELPRO – richtete sich wieder einmal vor allem gegen linke Aktivisten und angeblich subversive Kräfte, doch deren Definition war äußerst großzügig gefasst. Hunderttausende wurden wohl einer systematischen Überwachung ausgesetzt. Agenten spionierten undercover Gruppierungen aus, brachen in Wohnungen ein, um belastendes Material zu suchen und Abhörtechnik zu installieren, brachten gefälschte Dokumente in Umlauf, um dem Ruf Einzelner zu beschädigen und Zwietracht zu säen, und schreckten nicht vor Erpressung und physischer Gewalt zurück.

Ins Visier gerieten sowohl politische Organisationen als auch studentische Gruppen, Künstler, ausländische Vertretungen und vor allem die schwarze Bürgerrechtsbewegung, die Hoover als von Moskau gesteuert betrachtete, der er aber mit einer zutiefst rassistischen Überzeugung begegnete. (Der Ku-Klux-Klan wurde erst auf Initiative Präsident Lyndon B. Johnsons hin im Rahmen des Programms observiert.) »Er sah Afroamerikaner nie als vollwertige Bürger an. Hoover glaubte, dass die Afroamerikaner in einem kollektiven Sinne darauf hinarbeiten müssten, dass sie sich der Staatsbürgerschaft würdig erweisen müssten, während dies für weiße Amerikaner, insbesondere für gebürtige weiße Amerikaner, einfach ›natürlich‹ war«, schreibt der Religionswissenschaftler Lerone Martin in seinem Buch »The Gospel of J. Edgar Hoover: How the FBI Aided and Abetted the Rise of White Christian Nationalism«. Hoover sei zweifellos ein Rassist und Anhänger der Ideologie einer weißen Vorherrschaft gewesen.

Das wohl prominenteste Opfer dieser illegalen Aktivitäten war Martin Luther King. Ab Oktober 1963 wurde King persönlich rund um die Uhr, auch auf Reisen, elektronisch überwacht – mit Erlaubnis des Justizministers Robert Kennedy. Hoover nutzte jede Information, um King zu diskreditieren. So erhielt der schwarze Geistliche per Post eine Tonbandaufnahme, auf der er beim Sex mit einer Geliebten zu hören war, anbei den Brief eines anonymen Verfassers, dessen Inhalt King als Aufforderung zum Suizid interpretierte.

Trauerfeier | Am 3. Mai 1972 wird Amerikas mächtigster Beamter bestattet. Bei der Trauerfeier in der Rotunde des Weißen Hauses nennt ihn Richard Nixon einen »Giganten«. Zeitgenossen kommen zu einem weniger schmeichelhaften Urteil.

Dass hinter diesen und vielen anderen Aktionen das FBI stand, enthüllte eine Gruppe linker Aktivisten erst 1971. Acht Mitglieder der selbst ernannten »Citizens’ Commission to Investigate the FBI« brachen in ein FBI-Büro in Pennsylvania ein und entwendeten tausende geheime Dokumente. Die Veröffentlichung der Papiere löste einen Skandal aus, in dessen Folge nach und nach enthüllt wurde, wie intensiv das FBI die eigene Bevölkerung ausspioniert und dabei die Bürgerrechte mit Füßen getreten hatte. Keine zwei Monate später erklärte Hoover COINTELPRO für beendet. Der Langzeitdirektor klammerte sich weiter an sein Amt, doch sein Ruf war zerstört. Am 2. Mai 1972 starb der 77-Jährige durch einen nächtlichen Herzinfarkt.

In seiner Grabrede zählte Präsident Richard Nixon den Verstorbenen zu den »Giganten«, die »ihre Landsleute überragen und einen hohen und edlen Maßstab für uns alle setzen«. Amerika habe ihn nicht nur als Direktor einer Institution verehrt, sondern als Institution an sich. Mit 50 Jahren Abstand fällt das Fazit seiner Biografin weitaus nüchterner aus: Wenn er 1959 zurückgetreten wäre, dann würden wir uns an ihn wahrscheinlich »als populären und viel respektierten Regierungsbeamten erinnern, oft gnadenlos und umstritten, aber für die meisten Amerikaner ein Held«, schreibt Beverly Gage. »Stattdessen blieb er während der 1960er im Amt und entpuppte sich als einer der größten Schurken der Geschichte, vielleicht sogar als die am meisten geschmähte politische Figur Amerikas im 20. Jahrhundert.«

WEITERLESEN MIT SPEKTRUM - DIE WOCHE

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen »spektrum.de« Artikeln sowie wöchentlich »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Genießen Sie uneingeschränkten Zugang und wählen Sie aus unseren Angeboten.

Zum Angebot

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.